Diskussionsveranstaltung zur Nutzenbewertung onkologischer Arzneimittel nach § 35a SGB V

am 29. November 2010
in der Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses, Berlin

Als Teil der Vorbereitungen auf die mit Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) ab 2011 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) durchzuführende Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen gemäß § 35a SGB V führte der G-BA eine Diskussionsveranstaltung speziell zu onkologischen Arzneimitteln durch. Dazu waren unter anderem Fachgesellschaften aus dem Bereich der Onkologie, Zulassungsbehörden, die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sowie Industrieverbände eingeladen.

Die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V soll innerhalb von drei Monaten auf der Grundlage eines vom pharmazeutischen Unternehmer einzureichenden Dossiers erfolgen. Der G-BA beschließt danach innerhalb von drei Monaten über die Nutzenbewertung. Dieser Beschluss dient, soweit ein Arzneimittel nicht einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, als Grundlage für Erstattungspreisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer.

Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Dr. Rainer Hess, der gleichzeitig auch dem Unterausschuss Arzneimittel vorsitzt, hatte zu der Diskussionsrunde eingeladen, um Fragen zu erörtern, die speziell bei der Bewertung onkologischer Arzneimittel auf den G-BA zukommen.

Folgende Fragestellungen wurden diskutiert:

  • Welche Aspekte sind bei der Bewertung von Arzneimitteln für die onkologische Therapie besonders zu berücksichtigen?
  • Wie lassen sich die in onkologischen Studien untersuchten Endpunkte im Hinblick auf den patientenrelevanten Nutzen bewerten? Welche Endpunkte lassen eine valide, zuverlässige Aussage zu?
  • Welchen Stellenwert haben dabei Parameter des Tumoransprechens wie zum Beispiel DFS (disease-free survival), ORR (objective response rate), TTP (time to progression), TTF (time to treatment failure), PFS (progression-free survival)?
  • Welche tumorspezifischen Aspekte sind zu berücksichtigen?

Ergebnisse

In der Diskussion wurde herausgestellt, dass die Onkologie sehr unterschiedliche Erkrankungen und Erkrankungsverläufe umfasst und die Bewertung von Endpunkten immer indikationsspezifisch vorgenommen werden muss.

Als ein Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei der Verwendung von Surrogatparametern deren Validierung von entscheidender Bedeutung ist. Nur so kann eine verlässliche Aussage zur Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte auf der Grundlage der Surrogatparameter getroffen werden. Nicht validierte Surrogatparameter sind aus methodischer Sicht zu vermeiden. Von den verschiedenen genannten Parametern eignet sich in erster Linie das „progressionsfreie Überleben“. Es ist indikationsbezogen zu prüfen, ob dieser Surrogatparameter hilfsweise in bestimmten Konstellationen als Endpunkt in Frage kommt. Auch ist bei der Erhebung dieses Endpunktes bedeutsam, dass die Symptomatik bei den Patientinnen und Patienten verbessert und nicht ausschließlich die Bildgebung herangezogen wird. Grundsätzlich sollte jedoch, wenn möglich, das Gesamtüberleben (Overall survival) als Endpunkt der Bewertung zugrunde gelegt werden. Wichtig ist bei den onkologischen Arzneimittel auch die Bewertung des Nebenwirkungspotenzials eines Arzneimittels.

Bezüglich der Erfassung der Lebensqualität wurde dargestellt, dass dieser Endpunkt aufgrund methodischer Schwierigkeiten bisher wenig in onkologischen klinischen Studien erhoben wird. Die Rücklaufquote der Fragebögen ist gering, die Fragebögen sind häufig nicht gut validiert. Ein zusätzliches Problem ergibt sich bei weltweit durchgeführten Studien durch unterschiedliche kulturelle Kontexte. Es wurde jedoch gefordert, dass zukünftig der Erfassung der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten in klinischen Studien eine höhere Bedeutung zukommen muss, insbesondere vor dem Hintergrund teils schwerer Nebenwirkungen bei neuen onkologischen Arzneimitteln. Eine Weiterentwicklung der Methodik in diesem Bereich wurde als dringend notwendig erachtet.

Als weitere Aspekte der Diskussionsrunde wurden Abgrenzungsfragen zwischen der Nutzenbewertung durch den G-BA und der arzneimittelrechtlichen Zulassung beraten. Das Bewertungsverfahren beim G-BA unterscheidet sich von der Arzneimittelzulassung insbesondere dadurch, dass der G-BA immer eine vergleichende Bewertung mit Behandlungsalternativen in der GKV vornimmt. In der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V geht es dabei um die Feststellung eines Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, der Nutzen als solcher darf hingegen nach den beabsichtigten gesetzlichen Vorgaben nicht verneint werden. Das Bewertungsverfahren bei den Zulassungsbehörden erfolgt dagegen bezogen auf das zuzulassende Arzneimittel. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in der Bewertungspraxis bei den Kriterien zur Bewertung der Patientenrelevanz von Endpunkten.

Es wurde deutlich, dass der Onkologie keine Sonderrolle zukommt, sondern dass in der Bewertung die allgemein anerkannte methodische Vorgehensweise der evidenzbasierten Medizin mit dem Nachweis der positiven Beeinflussung der patientenrelevanten Endpunkte in der Onkologie anwendbar ist – ebenso wie in anderen medizinischen Fachgebieten.

Zusammenfassend hat diese informative Diskussionsrunde ermöglicht, dass zusammen mit Experten aus verschiedenen Gebieten wichtige Aspekte für die Vorbereitung der Nutzenbewertung onkologischer Arzneimittel nach § 35a SGB V erörtert werden konnten. Als Aufgabe des G-BA wurde herausgearbeitet, in dieser frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V Standards zu setzen, um ein transparentes und einheitliches Verfahren zu gewährleisten. Die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch den G-BA soll auch in der Onkologie sicherstellen, dass die GKV-Finanzmittel der Solidargemeinschaft gezielt für solche Arzneimittel vorgehalten werden, die für die Patientinnen und Patienten einen tatsächlichen Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität bedeuten.

Teilnehmer:

  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
  • Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
  • Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e.V. (BNHO)
  • Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)
  • Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e.V. (DGHO)
  • Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG)
  • Kompetenz Centrum Onkologie MDK Nordrhein
  • Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)
  • GKV-Spitzenverband
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
  • Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
  • Patientenvertretung im G-BA
  • Unparteiischer Vorsitzender des G-BA
  • Geschäftsstelle des G-BA