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G-BA aktuell Nr. 1/2022

vom 27. Januar 2022


Arzneimittel

Vitamin E im Ausnahmefall verordnungsfähig

Für Patientinnen und Patienten mit der genetisch bedingten Erkrankung AVED (engl: ataxia with vitamin E deficiency) ist künftig Vitamin E als Monopräparat eine verordnungsfähige GKV-Leistung. Bei dieser Krankheit wird das Protein alpha-Tocopherol-Transferprotein (TTPA) nicht richtig gebildet, das der Körper aber benötigt, um das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin E zu verteilen. Die Störung ist sehr selten; nach Expertenschätzungen ist durchschnittlich einer von 300.000 Menschen betroffen. AVED-Erkrankte haben häufig schon als Kinder oder Jugendliche schwere Bewegungs- und Sprachstörungen, die sich im Laufe des Lebens verschlimmern. Hohe Vitamin E-Gaben sind nach derzeitigem medizinischen Forschungsstand bislang die einzige Therapiemöglichkeit, die das Fortschreiten der Krankheit bremst. Mit seinem Beschluss vom 20. Januar 2022 nahm der G-BA Vitamin E als Monopräparat für die Therapie von AVED-Patienten in die OTC-Übersicht auf. Darin sind alle Medikamente verzeichnet, die nicht verschreibungspflichtig, aber bei bestimmten schwerwiegenden Krankheiten ausnahmsweise als Kassenleistung verordungsfähig sind. Der Beschluss wird derzeit vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geprüft und tritt nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Beschluss vom 20. Januar 2022

Cemiplimab: Nutzenbewertung für neue Therapie des Basalzellkarzinoms

Einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen bescheinigte der G-BA dem Wirkstoff Cemiplimab. Das Bewertungsergebnis gilt für ein neues Anwendungsgebiet: das fortgeschrittene Basalzellkarzinom nach vorausgegangenen Therapien. Basalkarzinome sind Varianten des weißen Hautkrebs und treten oft im Gesichts- und Halsbereich auf. Im beschriebenen Krankheitsstadium sind sie bereits weit in tiefer liegendes Gewebe eingedrungen. Die Zulassungsstudie des Herstellers hat gezeigt, dass sich bei knapp 30 % der Patientinnen und Patienten äußerlich sichtbare Gewebeschäden unter Cemiplimab deutlich reduzierten. Dies gilt allerdings nur für lokale Tumoren. Für Patientinnen und Patienten mit Metastasen ließen die Daten keine Schlussfolgferungen zum Zusatznutzen zu.

Cemiplimab kann eingesetzt werden, wenn Operationen, Strahlentherapien und sogenannte Hedgehog-Inhibitoren nicht mehr infrage kommen. Hedgehog-Inhibitoren unterbinden eine gestörte Signalübertragung bei der Zellteilung, die zur vermehrten Produktion von Krebszellen beiträgt. Aufgrund von Nebenwirkungen (z.B. Haarausfall, Verlust des Geschmackssinns) sind sie für viele Patientinnen und Patienten keine dauerhafte Option. In solchen Fällen blieb bislang nur noch eine bestmögliche unterstützende Behandlung (z.B. Schmerz- und Symptomlinderung), aber keine spezifische Krebstherapie. Der neue Wirkstoff eröffnet hier eine zusätzliche Therapiemöglichkeit.

Beschluss vom 20. Januar 2022

Daratumumab-Kombinationstherapie: Geringer Zusatznutzen bei Eiweißfehlbildungen

Auch der monoklonale Antikörper Daratumumab in Kombination mit Chemotherapie zeigte in der G-BA-Bewertung einen geringen Zusatznutzen. Bewertet wurde er für ein neues Anwendungsgebiet: die Behandlung der fortschreitenden Ablagerung von Eiweißfehlbildungen (systemische Leichtketten-Amyloidose). Bei dieser seltenen Erkrankung bildet das Immunsystem fehlgebildete Eiweiße (Amyloide) aus, die sich in Geweben und Organen ablagern. Die fortschreitende Krankheit kann nicht geheilt, sondern nur in ihrer Entwicklung gebremst werden. Zur Behandlung stand bislang nur eine individualisierte Chemotherapie zur Verfügung. Mit dieser verglich der G-BA nun die Kombinationstherapie von Daratumumab und einer Chemotherapie aus Cyclophosphamid, Bortezomib und Dexamethason. Nach Auswertung der vom Hersteller eingereichten Zulassungsstudie zeigte sich, dass die Kombination wichtige Symptome lindern kann; zum Beispiel Organschäden und Atemnot. Der G-BA befristete seine Bewertung bis März 2025 und wird dann weitere Daten mit einbeziehen.

Zum Hintergrund: Monoklonale Antikörper sind künstlich hergestellte, von einer Mutterzelle kopierte Proteine. Sie erkennen bestimmte Eiweißstrukturen auf der Oberfläche von Krebszellen, heften sich an sie und machen sie für das Immunsystem des Körpers erkennbar.

Beschluss vom 20. Januar 2022

Kürzere Wartezeiten auf Beratungen zur frühen Nutzenbewertung

Die Zahl der frühen Nutzenbewertungen neu zugelassener Arzneimittelwirkstoffe ist im G-BA im vergangenen Jahr auf ein neues Rekordhoch geklettert. Auch die Zahl der Beratungsgespräche mit pharmazeutischen Herstellern im Vorfeld dieser Bewertungen hat sich dadurch erhöht. 292-mal nutzten Pharmafirmen im Jahr 2021 die Möglichkeit der Beratung, das waren 33 Gespräche mehr als im Jahr zuvor. Der G-BA unternahm im vergangenen Jahr große Anstrengungen, der Nachfrage nachzukommen und das mit Erfolg: Von zuvor acht auf inzwischen ein bis drei Monate hat sich der Terminvorlauf bis Ende 2021 reduziert. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Anmeldung zur Beratung ohne Vorlauf möglich. Und bei dringendem Bedarf - zum Beispiel bei Beratungen zu COVID-Arzneimitteln in der jetzigen Pandemiesituation – werden in der Regel sehr kurzfristige Termine angeboten. Auf der G-BA Website können sich Hersteller über freie Zeitfenster informieren und sich dafür vormerken lassen.

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Methodenbewertung

Künstliche Befruchtung nach Kryokonservierung wird Kassenleistung

Nehmen GKV-Versicherte vor einer potentiell keimzellschädigenden Therapie (z.B. vor einer Chemo- oder Strahlentherapie) eine Kryokonservierung von Keimzellen oder Keimzellgewebe in Anspruch, ist auch eine später gegebenenfalls notwendige künstliche Befruchtung eine GKV-Leistung. Der G-BA hat die Richtlinie über künstliche Befruchtung entsprechend angepasst. Auch Jahre nach der Entnahme können die eingefrorenen Ei- oder Samenzellen damit für eine künstliche Befruchtung genutzt werden. Die Anpassung der Richtlinie war erforderlich, da die künstliche Befruchtung ohne vorherige Kryokonservierung von Eizellen von der hormonellen Stimulation bis zum Embryotransfer innerhalb eines Zyklusfalls abgeschlossen werden muss.

Ansonsten gelten auch für die neu anspruchsberechtigten Versicherten die gesetzlichen Voraussetzungen für eine künstliche Befruchtung: Es muss dafür eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehen. Es gelten die gesetzlichen Altersgrenzen von mindestens 25 bis maximal 40 (Frauen) beziehungsweise 50 Jahren (Männer). Das beteiligte Paar muss verheiratet sein und es dürfen ausschließlich Ei- und Samenzellen dieses Paares verwendet werden.

Für betroffene Frauen kommt als Methode der künstlichen Befruchtung der zuvor kryokonservierten Eizellen ausschließlich die Spermieninjektion direkt in die Eizelle infrage (Intracytoplasmatischen Spermieninjektion). Eine Befruchtung im Reagenzglas (In-Vitro-Fertilisation) ist durch die Vorbehandlung der Eizellen vor dem Einfrieren nicht mehr möglich. Der Beschluss des G-BA tritt nach Prüfung durch das BMG und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Nutzbar ist die neue Leistung aber erst, wenn der Bewertungsausschuss dafür eine neue bzw. angepasste Abrechnungsziffer vereinbart hat. Bis maximal 6 Monate nach Inkrafttreten hat er dafür Zeit.

Beschluss vom 16. Dezember 2021

Eckpunkte für zwei Erprobungsstudien beschlossen

Zur Schlafpositionstherapie und zur ergänzenden Sauerstoffgabe nach Herzkatheterbehandlung wird der G-BA vergleichende Erprobungstudien auf den Weg bringen. Kürzlich hat er dafür die Studien-Eckpunkte beschlossen. Sobald die Finanzierungsbeteiligung durch Hersteller geklärt ist, wird der G-BA die wissenschaftlichen Studienleitungen ausschreiben. Sie bringen die Erprobungen dann bundesweit auf den Weg und werten die Ergebnisse aus. Voraussichtlich im Laufe des Jahres 2023 werden die Studien starten.

Schlafpositionstherapie bei lageabhängiger obstruktiver Schlafapnoe

Anlass für die geplante Studie ist der Antrag eines Herstellers auf Erprobung.
Bei der Schlafpositionstherapie misst ein am Körper angebrachter aktiver Sensor kontinuierlich die Position der Patientin oder des Patienten während des Schlafs. Bei Rückenlage gibt der Sensor Vibrationsimpulse ab, um eine Änderung eben jener Schlafposition zu bewirken, bei der eine obstruktive Schlafapnoe (Atemstillstände aufgrund schweren Schnarchens) auftritt.

Die geplante Erprobungsstudie soll klären, ob die Schlafpositionstherapie geeignet ist, die Tagesschläfrigkeit bei Patientinnen und Patienten mit leichter bis mittelgradiger lageabhängiger obstruktiver Schlafapnoe im Vergleich mit der schon als GKV-Leistung verfügbaren Überdrucktherapie mit Atemmaske zu verbessern. Der G-BA hält hierfür ein randomisert-kontrolliertes Studiendesign (RCT) mit ca. 500 Patientinnen und Patienten für erforderlich. Dabei soll die zu erprobende Intervention und die Vergleichsintervention für die Studienteilnehmenden nacheinander (die Reihenfolge ist abhängig von der randomisierten Zuordnung) für jeweils 12 Wochen anwendet werden (Cross-over-Design).

Beschluss vom 16. Dezember 2021

Blutsauerstoffanreicherungstherapie nach Herzkatheterbehandlung bei akutem Herzinfarkt

Die Blutsauerstoffanreicherungstherapie (SuperSaturated Oxygen- bzw. abgekürzt SSO2-Therapie) dient der Behandlung von Patientinnen und Patienten nach einem akuten Herzinfarkt. Dabei wird unmittelbar im Anschluss an eine erfolgreiche Weitung der verengten Herzkranzgefäße per Katheter (Perkutane Koronarintervention, PCI) das Blut des Patienten hochgradig mit Sauerstoff angereichert und über einen begrenzten Zeitraum (in der geplanten Erprobungsstudie über 60 Minuten) direkt in die Herzkranzgefäße appliziert. Die Sauerstoffanreicherung des Blutes soll dazu beitragen, dass möglichst wenig des durch den Infarkt zeitweise unterversorgten Gewebes abstirbt. Geprüft wird im Rahmen einer randomisiert kontrollierten Studie, ob sich durch die zusätzliche SSO2-Therapie das Gesamtüberleben verbessert und sich die Zahl der ungeplanten herzinsuffizienzbedingten Krankenhausaufenthalte verringert. Die benötigte Fallzahl wird aufgrund der unsicheren Erkenntnisse zum erwarteten Effekt auf ca. 800 bis 4500 Studienteilnehmende geschätzt.

Dieses Erprobungsvorhaben ging aus einem sogenannten § 137h-Verfahren hervor. Dabei bewertet der G-BA Krankenhaus-Methoden, bei denen Medizinprodukte hoher Risikoklasse zum Einsatz kommen und für die ein Krankenhaus eine Zusatzvergütung angefragt hat. Für diese Bewertung werden allein die Unterlagen herangezogen, die dem G‑BA vom anfragenden oder weiteren Krankenhäusern oder von Medizinprodukteherstellern übermittelt werden. Eine systematische Überprüfung der Evidenz ist nicht Gegenstand dieses innerhalb von 4 Monaten durchzuführenden Prozesses. Stellt der G-BA hierbei fest, dass weder der Nutzen noch die Schädlichkeit oder die Unwirksamkeit der Methode als belegt anzusehen ist, ist er verpflichtet, eine Erprobungsstudie auf den Weg zu bringen.

Beschluss vom 20. Januar 2022

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Veranlasste Leistungen

Häusliche Krankenpflege: Längere Vorlagefrist bei Verordnungen und neues Detail zur Katheterisierung

Versicherte haben statt bislang drei nun vier Werktage Zeit, eine Verordnung über häusliche Krankenpflege zur Genehmigung bei ihrer Krankenkasse einzureichen. Bis zur Entscheidung übernimmt die Krankenkasse dann bereits die Kosten für die verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen in Höhe der vereinbarten Vergütung. So kann die häusliche Krankenpflege zeitnah im Vertrauen auf die nachfolgende schriftliche Erklärung der Kasse beginnen. Diese Neuerung in der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie trat am 24. Dezember 2021 in Kraft. Auslöser der Änderung waren Hinweise aus der Versorgungspraxis. Mit dem gleichen Beschluss wurde noch ein weiteres Detail formal ergänzt: Auch die häusliche Krankenpflege kann nun in elektronischer Form verordnet werden.

Katheterabklemmen nicht mehr zum Blasentraining einsetzen

Um mögliche Infektionen am Ende einer Katheterisierung zu vermeiden, hat der G-BA das Abklemmen des Dauerkatheterschlauchs zur Steigerung der Blasenkapazität aus der Nr. 2 des Leistungsverzeichnisses gestrichen. Die aktuelle Studienlage zeigte,dass dieses Vorgehen zusätzliche Infektions- und Verletzungsrisiken birgt. Medizinisch indiziert kann ein kurzfristiges Abklemmen aber in vereinzelten pflegerischen Ausnahmesituationen sein: Zum Beispiel bei diagnostischen Maßnahmen, wie der Bestimmung des Restharns oder beim Mobilisieren oder Umlagern, heißt es in den Tragenden Gründen zum Beschluss.

Beschluss vom 21. Oktober 2021

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Zahnärztliche Behandlung

Festzuschüsse für Zahnersatz leicht gestiegen

Zum 1. Januar 2022 sind die Festzuschüsse für Zahnersatzleistungen um 2,29 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Mit einem Beschluss vom 3. Dezember 2021 hat sie der G-BA veröffentlicht. Ausgehandelt wurden die konkreten Höhen der Zuschüsse zuvor zwischen den Dachverbänden der Krankenkassen und Leistungserbringer. Sie orientieren sich an den Durchschnittspreisen der Leistungen im Vorjahr. Mehr zu diesem Thema finden Sie hier.

Beschluss vom 3. Dezember 2021

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Pressemitteilungen und Meldungen

Innovationsausschuss empfiehlt für zwei Digitalprojekte Überführung in die Regelversorgung (vom 24. Januar 2022)

Innovationsausschuss: 17 neue Projekte können starten (vom 21. Januar 2022)

Immuntherapie mit Blinatumomab verbessert Überlebenschancen bei sehr seltenem Blutkrebs im Kindesalter (vom 20. Januar 2022)

Der G-BA stuft drei Arzneimittel als Reserveantibiotika ein (vom 20. Januar 2022)

Hecken: „Derzeitiger Verlauf der Pandemie lässt keine Experimente zu – Entlastung der Arztpraxen und Krankenhäuser sowie Kontaktreduzierungen weiterhin notwendig“ (vom 18. Januar 2022)

Frühe Nutzenbewertung bei neuen Arzneimitteln 2021: G-BA stellt Rekord mit 146 abgeschlossenen Verfahren auf (vom 10. Januar 2022)

Gemeinsamer Bundesausschuss veröffentlicht Übersicht zu Qualitätsverträgen (vom 22. Dezember 2021)

Rechtsgrundlage zu vernetzten Hilfen für schwer psychisch Erkrankte in Kraft: Netzverbünde können sich gründen (vom 20. Dezember 2021)

ASV-Angebote auch für Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (vom 16. Dezember 2021)

G-BA verlängert Corona-Sonderregelungen für Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern, telefonische ASV-Beratung und IDV-Zentren (vom 16. Dezember 2021)

Bessere Behandlungsergebnisse bei höheren Fallzahlen: G-BA legt für Operationen bei Brust- und Lungenkrebs Mindestmengen fest (vom 16. Dezember 2021)

Reha-Verordnungen werden einfacher (vom 16. Dezember 2021)

Neue Versorgungsformen: Innovationsausschuss fördert 17 weitere Projekte (vom 15. Dezember 2021)

EU-Verordnung verabschiedet: G-BA arbeitet an europäischer HTA-Bewertung mit (vom 14. Dezember 2021)

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