Zwei Versorgungsangebote erfolgreich erprobt – Hilfe für Menschen mit seltenen Erkrankungen und neue Ansätze für strukturschwache Regionen
Berlin, 4. April 2022 – Bei zwei abgeschlossenen Projekten aus dem Förderbereich „Neue Versorgungsformen“ hat der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) empfohlen, erfolgreich erprobte Ansätze für Patientinnen und Patienten in die Versorgung zu überführen. Damit dies gelingt, werden die detaillierten Projektergebnisse nun gezielt an Organisationen und Institutionen im Gesundheitswesen weitergeleitet. Verbunden damit ist die Bitte an die jeweiligen Organisationen, die Ergebnisse zu prüfen und sie innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs möglichst zu berücksichtigen – die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses wären dafür nur in Teilen der richtige Weg in die Versorgung. Beim Projekt TRANSLATE-NAMSE stand eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen im Mittelpunkt. Das Projekt IGiB-StimMT entwickelte die Versorgungsstrukturen und -prozesse in der Region um Templin weiter, einer strukturschwachen Region im Land Brandenburg.
TRANSLATE-NAMSE: bessere Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen
Es gibt über 8.000 seltene Erkrankungen, allein in Deutschland sind insgesamt mehrere Millionen Menschen betroffen. Der Weg bis zur richtigen Diagnose ist für sie oft lang – bei Kindern dauert es im Durchschnitt viereinhalb und bei Erwachsenen achteinhalb Jahre. Auch eine adäquate Versorgung ist leider noch nicht selbstverständlich. Das im Jahr 2010 gegründete „Nationale Aktionsbündnis Seltene Erkrankungen“ (NAMSE) will die Versorgung für Betroffene verbessern. Ein Teil der von NAMSE konzipierten Maßnahmen wurde in dem vom Innovationsausschuss geförderten Projekt TRANSLATE-NAMSE erprobt.
Um die Diagnosestellung bei einer seltenen Erkrankung zu beschleunigen, wurden im Projekt neun universitäre Zentren für seltene Erkrankungen und vier universitäre humangenetische Institute miteinander vernetzt. Dabei etablierte man auch strukturierte Patientenpfade für Personen, bei denen ein Verdacht oder eine noch unklare Diagnose auf eine seltene Erkrankung besteht. Um auch den Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenmedizin besser zu strukturieren, führte das Projekt unter anderem bedarfsbezogene, multiprofessionelle Versorgungs- und Beratungsangebote ein. Das bundesweite Netzwerk nutzten in der dreijährigen Projektzeit 6.000 Patientinnen und Patienten.
Die Evaluation des Projekts hat gezeigt, dass sich mit dem neuen Angebot bei vielen Patientinnen und Patienten mit einem Verdacht auf eine seltene Erkrankung die Versorgungseffizienz wesentlich verbesserte. So konnte bei einem Drittel der im Projekt Versorgten eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Bei einem Viertel der Patientinnen und Patienten wurde sogar eine seltene Erkrankung sicher diagnostiziert. Die Diagnosestellung erfolgte zudem im Durchschnitt innerhalb eines halben Jahres, so dass dann umgehend eine bedarfsgerechte Therapie eingeleitet werden konnte. Nicht zielführende Diagnostik und Therapieversuche wurden hingegen vermieden.
Auf Basis der Projektergebnisse wurden bereits bundesweit über verschiedene Kassenarten hinweg Selektivverträge geschlossen. Eine Beitrittsoption für weitere Krankenkassen ist hierbei vorgesehen und damit eine breite Versorgung möglich. Der Innovationsauschuss bittet jedoch darüber hinaus insgesamt elf Institutionen im Gesundheitswesen, darunter auch den Gemeinsamen Bundesausschuss, zu prüfen, inwiefern die erprobten Ansätze in ihrem Zuständigkeitsbereich berücksichtigt werden können: Beispielsweise um Verträge zur koordinierten Feststellung und Behandlung einer seltenen Erkrankung weiterzuentwickeln, um stationäre Leistungen adäquat zu vergüten und um die ambulante spezialfachärztliche Versorgung für seltene Erkrankungen zu erweitern.
Beschluss und Ergebnisbericht zu TRANSLATE-NAMSE
IGiB-StimMT: Strukturmigration in der Region um Templin
Das Projekt IGiB-StimMT hatte zum Ziel, die regionalen Versorgungsstrukturen und -prozesse in der Region Templin bedarfsorientiert und regionalspezifisch an die veränderten Bedingungen des demographischen Wandels anzupassen.
Auch wenn im Projektverlauf mehrere Ansätze und Versorgungsmodule adaptiert oder sogar verworfen werden mussten, konnten letztlich vier der fünf Teilprojekte erfolgreich in die vorhandene Versorgungsstruktur integriert werden und verbesserten die bestehenden medizinischen Angebote. Im Zentrum stand die Umstrukturierung des Sana Krankenhauses Templin zu einem ambulant-stationären Zentrum mit vielfältigen Versorgungsangeboten, die stärker am regionalen Bedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtet sind. Am Krankenhaus angesiedelt wurden unter anderem eine ärztliche Bereitschaftspraxis, eine zentrale Notaufnahme (Decision Unit) für Patientinnen und Patienten mit unklaren Diagnosen, Verdachtsdiagnosen oder Versorgungserfordernissen, die über die ambulanten Möglichkeiten hinausgehen sowie ein Koordinierungs- und Beratungszentrum. Daneben implementierte das Projekt sektorenübergreifende Behandlungspfade bei Herzinsuffizienz, Rückenschmerz und Adipositas sowie eine strukturierte Harninkontinenz-Versorgung.
Die Projektergebnisse, in denen es explizit auch um die Schwierigkeiten bei der Reform von komplexen Versorgungsstrukturen geht, werden an die Akteure der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen – GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und Kassenärztliche Bundesvereinigung – weitergeleitet. Sie sind gebeten zu prüfen, inwiefern Ansätze der neuen Versorgungsform zur Weiterentwicklung der bedarfsgerechten Versorgung in ländlichen und/oder strukturschwachen Regionen genutzt werden können und wie dies in einem bundesweit einheitlichen Rahmen erfolgen kann. Ergänzend werden die im Projekt erzielten Erkenntnisse zur Information an die Gesundheits- und Sozialministerien der Länder sowie die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände weitergeleitet.
Zudem wird das Bundesministerium für Gesundheit gebeten zu prüfen, ob im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren rechtliche Anpassungen vorgeschlagen werden können, um bedarfsgerechte, wohnortnahe und sektorenübergreifende Versorgungsansätze in ländlichen und/oder strukturschwachen Regionen leichter umzusetzen. Die Richtlinien des G‑BA sind hier nicht der richtige Weg, um die positiven Erkenntnisse in die Versorgung zu bringen.
Beschluss und Ergebnisbericht zu IGiB-StimMT
Hintergrund: Projektförderung durch den Innovationsausschuss
Der G-BA erhielt im Jahr 2016 vom Gesetzgeber den Auftrag, mit den Mitteln des Innovationsfonds solche Projekte zu fördern, die über die bisherige regelhafte Gesundheitsversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland hinausgehen, um Impulse für die innovative Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zu geben. Hierfür wurde beim G‑BA ein Innovationsausschuss eingerichtet. Die Mittel werden von den gesetzlichen Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds getragen und vom Bundesamt für Soziale Sicherung verwaltet.
Sämtliche Ergebnisberichte der bislang abgeschlossenen Projekte sowie die Beschlüsse der Empfehlungen sind auf der Website des Innovationsausschusses veröffentlicht: Beschlüsse