Reaktion von Prof. Josef Hecken auf die Ankündigung von drei Bundesländern, Vorgaben des G-BA verfassungsrechtlich überprüfen lassen zu wollen
Berlin, 12. August 2025 – Auf die Ankündigung der drei Bundesländer Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu erheben, reagiert Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA folgendermaßen: „Als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses nehme ich die seit einiger Zeit angekündigte Klage zur Kenntnis. In der Sache ist es das gute Recht der Bundesländer Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt, die Entscheidungen des G-BA zu den Mindestmengen oder anderen Richtlinien und die ihnen zugrundeliegende bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Sozialgesetzbuch Fünf vor dem Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Hier geht es wie es heißt aber nicht um ein Instrument der Krankenhausplanung, das macht der G-BA nicht. Es geht stattdessen um Qualitätssicherung für Patientinnen und Patienten. Das Festlegen von Mindestmengen ist ein grundlegendes und unverzichtbares Element der Qualitätssicherung, mit dem Sterbe- und/oder Komplikationsraten bei besonders komplexen und gefahrgeneigten Interventionen gesenkt und damit Menschenleben gerettet werden. Das trifft auch für die Versorgung von extrem untergewichtigen Frühgeborenen zu, die oft nur wenige Gramm wiegen.
Daher ist es im konkreten Fall sehr bedauerlich, denn die Frage nach Kompetenzen geht zulasten von Menschen – um es auf den Punkt zu bringen: Es geht nicht selten um die Frage, ob Menschen überleben und ob sie gut überleben. Wir sprechen hier nicht über Notfalloperationen, sondern über planbare, komplexe Interventionen, bei denen es einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Anzahl der durchgeführten Behandlungen und/oder Interventionen und der Ergebnisqualität gibt. Hier zahlt sich Routine aus, sie kann nicht durch Strukturvorgaben ersetzt werden. Gerade bei der Versorgung von untergewichtigen Frühgeborenen hat die Zahl der behandelten Frühchen unmittelbaren Einfluss auf die Sterberate und das Maß späterer Beeinträchtigungen. Dies gilt bei den Mindestmengen für operative onkologische Operationen ebenso bezogen auf Sterblichkeit und Rezidive. Für mich steht fest: Qualität ist nicht verhandelbar.
Deshalb hat der G-BA hier einen ausdrücklichen gesetzgeberischen Auftrag, den er erfüllt, um Patientinnen und Patienten bundesweit vor vermeidbaren schwerwiegenden Risiken zu schützen. Erst kürzlich hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auch wörtlich die Entscheidung des G-BA, die Mindestmenge bei extrem untergewichtigen Frühgeborenen hochzusetzen, gestützt und das im letzten Jahr so begründet: „Für Relativierungen wie sie die Klägerinnen vornehmen wollen, indem sie zuletzt eine Verringerung der jährlichen Anzahl der Sterbefälle um nur wenige Fälle nicht für geeignet halten, eine Anhebung der Mindestmenge zu rechtfertigen, ist aus Sicht des Senats angesichts der überragenden Wichtigkeit des Schutzes menschlichen Lebens kein Platz.“ Es sei auch zwanglos davon auszugehen, so das Gericht weiter, dass jedenfalls die große Mehrheit der Schwangeren bzw. werdenden Eltern und ihre Angehörige angesichts der großen Gefahren für Leib und Leben, Dauerschäden und Behinderungen des Frühgeborenen lieber weitere Wege ins Krankenhaus in Kauf nehmen, um das Risiko möglichst gering zu halten. (Quelle: L 1 KR 477/21 KL Rn. 133)
Hecken weiter: „Auch für Bundesländer, zu deren Aufgabe die Krankenhausplanung gehört, sollte der Schutz des Lebens vornehmste Aufgabe sein. Der G-BA hat regionale Gegebenheiten durchaus im Blick, wenn es um die Folgenabschätzung beim Festsetzen von Mindestmengen geht, dazu ist er verpflichtet und darauf achtet er auch sehr penibel. Denn schließlich sollen Fahrzeiten nicht zu lang und dadurch Patientinnen und Patienten nicht gefährdet werden. Der vom (Bundes-)Gesetzgeber an den G-BA übertragene Auftrag ist klar bestimmt: Er soll dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten eine gute Versorgungsqualität erhalten, ganz egal in welchem Bundesland sie behandelt werden.“
Hecken weiter: „Anlass für die von den Bundesländern veranlasste höchstrichterliche Klärung ist auch die Richtlinie des G-BA zur Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik. Auch dazu gab es bereits eine klare und eindeutige Entscheidung des Bundessozialgerichts, die den G-BA als legitimiert ansah, diese Regelung zu treffen. Auch hier gilt: Patientinnen und Patienten haben einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf Qualität im Krankenhaus – die dafür notwendigen Details definiert der G-BA und setzt damit das bundesweit geltende Qualitätsgebot des SGB V und Patientensicherheit ganz praktisch um.“
Nähere Informationen zum Thema Mindestmengen finden Sie auf der Website des G-BA: Mindestmengen für planbare medizinische Eingriffe
Nähere Informationen zur Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie finden Sie auf der Website des G-BA: Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik