Eine psychotherapeutische Behandlung – beispielsweise eine Verhaltenstherapie oder ein psychoanalytisches Verfahren – soll eine psychische Erkrankung erkennen, heilen, ihre Verschlimmerung verhüten oder die Beschwerden lindern. Für die ambulante Versorgung legt der G-BA in der Psychotherapie-Richtlinie unter anderem fest,
- welche psychotherapeutischen Verfahren und Methoden eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sind,
- welche Angebote es für die Abklärung eines Erkrankungsverdachts und bei einem dringenden Behandlungsbedarf gibt,
- das Nähere zur gruppenpsychotherapeutischen Grundversorgung sowie
- zu den probatorischen Sitzungen vor Beginn einer Therapie.
Die Richtlinie des G-BA dient auch als Grundlage für die Psychotherapie-Vereinbarung, die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband beschlossen wird. Hier ist beispielsweise das Nähere zum Antragsverfahren für die Kostenübernahme einer Psychotherapie bei der gesetzlichen Krankenkasse geregelt.
Psychotherapie – Verfahren und Methoden
In der ambulanten Versorgung können folgende Behandlungsverfahren angewendet werden, sie werden auch als „Richtlinientherapien“ bezeichnet:
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Hier sind Therapieformen umfasst, mit denen die zugrundeliegenden Ursachen einer Erkrankung geklärt werden sollen. Behandelt wird die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte und struktureller Störungen unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand. Eine Konzentration des therapeutischen Prozesses wird durch Begrenzung des Behandlungszieles, durch ein vorwiegend konfliktzentriertes Vorgehen und durch Einschränkung regressiver Prozesse angestrebt.
- Analytische Psychotherapie: Umfasst sind jene Therapieformen, die zusammen mit der neurotischen Symptomatik den neurotischen Konfliktstoff und die zugrundeliegende neurotische Struktur der Patientin oder des Patienten behandeln. Dabei wird das therapeutische Geschehen mit Hilfe der Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalyse unter Nutzung regressiver Prozesse in Gang gesetzt und gefördert.
- Verhaltenstherapie: Die Verhaltenstherapie als Krankenbehandlung umfasst Therapieverfahren, die vorwiegend auf der Basis der Lern- und Sozialpsychologie entwickelt worden sind. Unter den Begriff „Verhalten“ fallen dabei beobachtbare Verhaltensweisen sowie kognitive, emotionale, motivationale und physiologische Vorgänge.
Verhaltenstherapie erfordert die Analyse der ursächlichen und aufrechterhaltenden Bedingungen des Krankheitsgeschehens (Verhaltensanalyse). Auf der Basis eines entsprechenden Störungsmodells wird eine Behandlungsstrategie mit verhaltenstherapeutischen Interventionen angewendet, um Therapieziele zu erreichen, die gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten festgelegt werden. - Systemische Therapie: Hier handelt es sich um ein Psychotherapieverfahren, das den sozialen Beziehungen innerhalb einer Familie oder Gruppe eine besondere Relevanz für die Entstehung einer psychischen Erkrankung beimisst. Die Therapie fokussiert entsprechend nicht auf die einzelne Person, sondern auf die Interaktionen zwischen Mitgliedern der Familie und der weiteren sozialen Umwelt.
Zudem sind die psychotherapeutischen Methoden beziehungsweise Techniken Katathymes Bilderleben, Rational Emotive Therapie (RET) sowie Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing (EMDR) eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Bei akuten seelischen Krisen, auch im Verlauf chronischer Krankheiten und Behinderungen, können zudem im Rahmen der sogenannten psychosomatischen Grundversorgung verbale Interventionen sowie Autogenes Training, Jacobsonsche Relaxationstherapie und Hypnose eingesetzt werden. Die psychosomatische Grundversorgung wird durch primär somatisch orientierte Ärztinnen und Ärzte angewendet. Die näheren Voraussetzungen sind in den §§ 24 bis 26 der Psychotherapie-Richtlinie beschrieben.
Mit welchem Verfahren und welchen Methoden eine Patientin oder ein Patient behandelt wird, hängt von der diagnostizierten Störung oder Erkrankung, aber auch von den individuell angestrebten Therapiezielen ab.
Alle vier Therapieverfahren können als Kurzzeit- oder Langzeittherapie und als Einzel- oder Gruppentherapie oder auch in einer Kombination von Einzel- und Gruppentherapie angeboten beziehungsweise wahrgenommen werden. Bei der Kombination von Einzel- und Gruppentherapie können die verschiedenen Therapieverfahren nicht gemischt werden, z.B. kann eine Verhaltenstherapie als Einzeltherapie nicht mit einer Analytischen Therapie als Gruppentherapie verbunden werden. Einzige Ausnahme: Die beiden psychoanalytisch begründeten Verfahren (Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Analytische Psychotherapie) können miteinander als Einzel- und Gruppentherapie kombiniert werden. Die Details zu den Stundenkontingenten und Bewilligungsschritten sind in den §§ 28 bis 30 der Richtlinie zu finden.
Zum Ende einer Langzeittherapie kann ein Teil des bewilligten Gesamtstundenkontingents dafür genutzt werden, die erreichten und erarbeiteten Ziele zu erhalten und einem Rückfall der Erkrankung vorzubeugen (Rezidivprophylaxe).
Psychische Beschwerden – wann eine Psychotherapie Kassenleistung ist
In der Psychotherapie-Richtlinie ist beschrieben, wann eine Psychotherapie eine ambulante Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist. Beispielsweise bei
- Depressionen,
- Angst- und Zwangsstörungen,
- körperlichen Beschwerden ohne organische Ursachen (somatoforme Störungen),
- Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen,
- Essstörungen,
- Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen sowie
- psychischen Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (Alkohol, Drogen oder Medikamente) oder durch Opioide.
Keine Kassenleistung ist Psychotherapie, wenn sie ausschließlich zur Erziehungs-, Ehe-, Lebens-, oder Sexualberatung dient. Hier kommen dann andere Unterstützungs- und Beratungsangebote in Frage – zum Beispiel durch Familien-, Erziehungs-, Lebens- oder Suchtberatungsstellen und sozialpsychiatrische Dienste.
Psychotherapeutische Sprechstunden – Erstgespräche bei einem Erkrankungsverdacht
Bei psychischen Beschwerden können sich Versicherte direkt an einen Vertragspsychotherapeuten oder eine Vertragspsychotherapeutin wenden – also an ärztliche oder psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die eine Zulassung für die gesetzliche Krankenversicherung haben. Eine Überweisung zu solchen psychotherapeutischen Sprechstunden ist nicht erforderlich.
- In der psychotherapeutischen Sprechstunde geht es unter anderem darum zu klären, ob eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung beziehungsweise Störung vorliegt.
- Wurde der Verdacht auf eine psychische Erkrankung und ein Behandlungsbedarf bestätigt, schätzt die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ein, ob eine Behandlung möglichst schnell beginnen sollte, und informiert die Patientin oder den Patienten über die unterschiedlichen Verfahren und Anwendungsformen und den Ablauf einer Psychotherapie.
- Sofern angezeigt, kann die Patientin oder der Patient anschließend mit einer Akutbehandlung beginnen oder aber Probesitzungen (sog. probatorische Sitzungen) für eine Richtlinientherapie wahrnehmen.
Ohne vorherige Sprechstunde können Patientinnen und Patienten mit einer Akutbehandlung oder probatorischen Sitzungen beginnen, wenn sie aus einer stationären Krankenhausbehandlung oder aus einer rehabilitativen Behandlung entlassen werden, die aufgrund einer psychischen Erkrankung notwendig war.
Die Sprechstunde kann als Einzelbehandlung bei Erwachsenen in Einheiten von mindestens 25 Minuten höchstens sechsmal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 150 Minuten) durchgeführt werden; bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Menschen mit geistiger Behinderung als Einzelbehandlung in Einheiten von mindestens 25 Minuten höchstens 10-mal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 250 Minuten).
Psychotherapeutische Akutbehandlung – schnelle Entlastung von Beschwerden
Wird in der psychotherapeutischen Sprechstunde ein dringender Behandlungsbedarf festgestellt, empfiehlt die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut in ihrem Befundbericht eine Akutbehandlung. Ziel ist es, möglichst schnell eine Entlastung von den akuten psychischen Beschwerden zu erreichen und psychische Krisen- und Ausnahmezustände abzumildern. Eine ambulante Akutbehandlung ist von der Praxis gegenüber der Krankenkasse lediglich anzuzeigen und kann unmittelbar begonnen werden.
Besteht bereits eine krisenhafte Situation, kann statt der ambulanten jedoch auch eine teil- oder vollstationäre Akutbehandlung in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik der bessere Weg sein.
Generell darf die Wartezeit für eine notwendige ambulante Akutbehandlung zwei Wochen nicht überschreiten – in § 75 Absatz 1a Satz 7 SGB V ist zudem gesetzlich geregelt, dass die Terminservicestellen verpflichtet sind, einen ambulanten Behandlungstermin in einem Krankenhaus anzubieten, falls ein Termin bei einem niedergelassenen Leistungserbringer innerhalb der gesetzlichen Frist nicht vermittelt werden kann.
Eine ambulante Akutbehandlung erfolgt als Einzelbehandlung bei Erwachsenen in Einheiten von mindestens 25 Minuten bis zu 24-mal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 600 Minuten); bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung bis zu 30-mal, wenn die Bezugspersonen einbezogen werden (maximal 750 Minuten).
An eine Akutbehandlung kann sich bei Bedarf eine Richtlinientherapie anschließen.
Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung – möglicher Einstieg in eine Gruppentherapie
Die sogenannte Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung wird psychisch Erkrankten angeboten, für die eine Gruppenpsychotherapie in Frage kommen könnte. Bei dem Versorgungsangebot geht es neben der Vermittlung von grundlegenden Inhalten der ambulanten Psychotherapie – beispielsweise über die verschiedenen Behandlungsverfahren der Psychotherapie – auch um eine erste Symptomlinderung. Dabei werden der Patientin oder dem Patienten auch ganz generell die Arbeitsweise und Wirkmechanismen, die Chancen und Nutzen einer Gruppentherapie nahegebracht. Ein Anzeige- oder Antragsverfahren gegenüber den Krankenkassen ist für dieses Versorgungsangebot nicht vorgesehen.
Die Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung kann bis zu viermal je Krankheitsfall mit jeweils 100 Minuten erbracht beziehungsweise in Anspruch genommen werden. Für die Therapeutinnen und Therapeuten ist kein Anzeige- oder Antragsverfahren gegenüber den Krankenkassen vorgesehen.
Probatorische Sitzungen – Probesitzungen vor einer Richtlinientherapie
Probatorische Sitzungen sind Gespräche mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten vor Beginn einer Richtlinientherapie. Sie dienen
- zur weiteren diagnostischen Klärung des Krankheitsbildes und des Behandlungsbedarfs sowie
- zur Feststellung der Eignung der Patientin oder des Patienten für ein bestimmtes Psychotherapieverfahren sowie
- zur Einschätzung der persönlichen Passung, d. h. einer tragfähigen Arbeitsbeziehung von Patientin oder Patient und Therapeutin oder Therapeut.
In den probatorischen Sitzungen werden zudem die Motivation und die Kooperations- und Beziehungsfähigkeit der Patientin oder des Patienten geprüft. Die Entscheidungen zu weiteren Behandlungen sollen anschließend gemeinsam getroffen werden.
Vor Beginn einer Psychotherapie müssen Erwachsene mindestens zwei und können bis zu vier probatorische Sitzungen wahrnehmen. Bei Kindern und Jugendlichen sowie bei Menschen mit einer geistigen Behinderung sind darüber hinaus zwei weitere probatorische Sitzungen möglich. In der Einzelbehandlung dauert eine probatorische Sitzung 50 Minuten, in der Gruppe 100 Minuten.
Konsiliarverfahren – Körperliche ärztliche Untersuchung
Eine Besonderheit gilt für den Fall, dass die probatorischen Sitzungen bei einer psychologischen Psychotherapeutin oder einem psychologischen Psychotherapeuten wahrgenommen wurden: Bevor bei der Krankenkasse eine Psychotherapie beantragt werden kann, ist noch eine körperliche ärztliche Untersuchung notwendig. Es soll ausgeschlossen werden, dass eine organische Erkrankung die Ursache für die psychischen Beschwerden ist. Das Ergebnis der Untersuchung wird in einem sogenannten Konsiliarbericht festgehalten, der zusammen mit den Antragsunterlagen bei der Krankenkasse eingereicht wird.
Neue Verfahren und Methoden – Voraussetzungen für Anerkennung als Kassenleistung
Bevor eine psychotherapeutische Behandlungsform ambulante Kassenleistung werden kann, bewertet der G-BA diese – ebenso wie andere medizinische Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – in einem sogenannten Methodenbewertungsverfahren. Überprüft wird, ob psychotherapeutische Verfahren und Methoden zur Behandlung bestimmter Erkrankungen im Vergleich zu bereits zulasten der GKV zur Verfügung stehenden Verfahren und Methoden einen Nutzen haben und ob sie medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind.
Für Psychotherapieverfahren gilt eine Besonderheit: Es muss nicht nur der Nutzen des Psychotherapieverfahrens durch methodisch gute Studien für eine einzelne psychische Erkrankung nachgewiesen sein, sondern die Nutzennachweise müssen mehrere Anwendungsbereiche der ambulanten Psychotherapie abdecken, insbesondere Depressionen und Angststörungen sowie mindestens ein bis zwei weitere Anwendungsbereiche. Die Bewertung von Psychotherapieverfahren bezieht sich daher auf alle 14 in § 27 Psychotherapie-Richtlinie genannten Anwendungsbereiche. Hintergrund dieser Bedingung ist, dass die Zulassung eines Psychotherapieverfahrens sich immer auf alle für den ambulanten Bereich geltenden Anwendungsbereiche erstreckt. Dies ist sinnvoll, weil eine psychische Krankheit häufig nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen psychischen Krankheiten auftritt („Komorbidität“). Die zusätzliche psychische Erkrankung kann entweder schon zu Beginn der Behandlung erkennbar sein oder erst im Laufe der Therapie zutage treten. Ein Patient oder eine Patientin, der oder die unter einer Angststörung leidet, kann z. B. zugleich an einer Depression erkrankt sein. Die Patientin oder der Patient soll in Bezug auf alle bei ihr oder ihm diagnostizierten psychischen Erkrankungen behandelt werden können.