Reserveantibiotika – keine reguläre Nutzenbewertung

Handelt es sich bei einem neuen Arzneimittel um ein Reserveantibiotikum, sind pharmazeutische Unternehmer im Verfahren der frühen Nutzenbewertung nicht verpflichtet, ein vollständiges Dossier vorzulegen. Eine Überprüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie erfolgt nicht; der Zusatznutzen gilt als belegt. Dies ist gesetzlich in § 35a Abs. 1c SGB V geregelt.

Um eine strenge Indikationsstellung, also einen zielgerichteten und engen Einsatz des Reserveantibiotikums zu gewährleisten, kann der G-BA – ergänzend zu den Vorgaben der Fachinformation des pharmazeutischen Unternehmens – qualitätssichernde Anforderungen festlegen. Damit soll verhindert werden, dass sich gegen das Antibiotikum neue Resistenzen entwickeln und der Reservestatus verloren geht.

Was sind Reserveantibiotika?

Um ein Reserveantibiotikum handelt es sich, wenn

  • das Antibiotikum auch bei der Behandlung von schwerwiegenden Infektionen wirksam ist, die durch multiresistente Bakterien verursacht wurden,
  • alternative Therapiemöglichkeiten nur eingeschränkt verfügbar sind und
  • der Einsatz des Antibiotikums einer strengen Indikationsstellung unterliegt. 

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat im Einvernehmen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Kriterien zur Einordnung eines Antibiotikums als Reserveantibiotikum bestimmt. Sie sind auf den Seiten des RKI veröffentlicht.

Zudem listet das RKI – nicht abschließend – relevante bakterielle Erreger mit Resistenzen auf, beispielsweise den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Bei der Einstufung eines Antibiotikums als Reserveantibiotikum ist vom G-BA diese RKI-Liste von Erregern ebenfalls heranzuziehen: Das Reserveantibiotikum sollte gegen mindestens einen dieser Erreger wirksam sein.

Wann und wie beantragen pharmazeutische Unternehmen eine Anerkennung als Reserveantibiotikum und damit die Freistellung von der regulären frühen Nutzenbewertung?

Spätestens vier Monate vor Markteintritt eines neu zugelassenen Antibiotikums ist vom pharmazeutischen Unternehmer die Freistellung von der regulären frühen Nutzenbewertung beim G-BA zu beantragen.

Der G-BA stellt den pharmazeutischen Unternehmen ein Antragsformular zur Verfügung. Die geforderten Angaben dienen dazu, den Reservestatus eines neuen Antibiotikums entsprechend den RKI-Kriterien feststellen zu können. Liegen die Voraussetzungen für eine Einordnung eines neuen Antibiotikums als Reserveantibiotikums vor, muss der pharmazeutische Unternehmer beim G-BA kein vollständiges Dossier einreichen.

Wie geht es nach Anerkennung als Reserveantibiotikum weiter?

Mit der Anerkennung als Reserveantibiotikum und Freistellung von der regulären Nutzenbewertung wird der pharmazeutische Unternehmer vom G-BA aufgefordert nachzuweisen, dass eine strenge Indikationsstellung sichergestellt ist. Sofern notwendig, legt der G-BA weitergehende Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung fest.

Zu seinem Entwurf der Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung holt der G-BA eine Stellungnahme des RKI ein, die im Einvernehmen mit dem BfArM erstellt wird. Das IQWiG bewertet die Therapiekosten und die Patientenzahlen.

Der Beschluss des G-BA sowie die Unterlagen aus den Beratungen (einschließlich des Wortprotokolls zur mündlichen Anhörung) werden auf der Website des G-BA veröffentlicht: Übersicht „Nutzenbewertung von Arzneimitteln“

Wie geht es weiter, wenn es sich nicht um ein Reserveantibiotikum handelt?

Werden die Voraussetzungen für die Freistellung als Reserveantibiotikum nicht erfüllt, muss der pharmazeutische Unternehmer ein vollständiges Dossier für die frühe Nutzenbewertung vorlegen. Dies gilt auch, wenn die Voraussetzungen für den Reservestatus des Antibiotikums nicht mehr erfüllt sind: Beispielsweise dann, wenn das Antibiotikum viel häufiger verschrieben wird, als nach den Vorgaben der strengen Indikationsstellung zu erwarten ist. Oder wenn der Einsatz in nicht unerheblichem Maße außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes erfolgt, so dass dadurch Auswirkungen auf die Resistenzsituation zu erwarten sind.