Netzverbünde für die Versorgung von schwer psychisch erkrankten Menschen: G-BA baut Hürden für Gründungen ab
Berlin, 21. August 2025 – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat heute strukturelle Änderungen und organisatorisch-administrative Vereinfachungen für die Gründung von berufsgruppenübergreifenden Netzverbünden beschlossen. Solche Netzverbünde sind das Kernelement einer Versorgung von schwer psychisch erkrankten Erwachsenen mit einem komplexen Behandlungsbedarf. Der Beschluss baut auf Erkenntnissen auf, die der G-BA aus einer Untersuchung (Zwischenbericht) zur Umsetzung seiner vor vier Jahren beschlossenen Richtlinie gewonnen hatte.
Dazu Dr. med. Bernhard van Treeck, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzender des zuständigen Unterausschusses: „Die Unterversorgung schwer psychisch Kranker ist ein schon lange bekanntes Problem des deutschen Versorgungssystems. Gerade für schwer psychisch erkrankte Menschen ist eine verlässliche, koordinierte Versorgung oft entscheidend und hilft, dass sich Stabilität und Lebensqualität wieder einstellen können. Die heute überarbeitete Richtlinie soll das Problem zumindest teilweise lösen. Bereits zum Zeitpunkt der Einführung der Richtlinie war ein Monitoring vorgesehen, um schnell auf mögliche Hürden bei der Umsetzung reagieren zu können. Mit den beschlossenen erheblichen Vereinfachungen für die Gründung von Netzverbünden setzt der G-BA ein wichtiges Signal: Wir hören zu, wir lernen und wir handeln. Die neue Versorgungsform funktioniert und bedeutet dort, wo es dieses Angebot gibt, eine echte Verbesserung für die besonders behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten. Das wurde auch durch den Zwischenbericht bestätigt. Noch gibt es das Angebot aber nicht flächendeckend. Ziel aller Akteure beim G-BA ist es, dafür zu sorgen, dass diese Form der Versorgung überall ankommt, also auch in Regionen, in denen der Aufbau von Netzverbünden bislang noch nicht gelungen ist. Mit den beschlossenen Änderungen erleichtern wir die Bedingungen für die Umsetzung vor Ort, ohne Abstriche an der Qualität der Versorgung. Zusätzliche Impulse erwarten wir uns aus der weiteren Evaluation der Richtlinie.“
Überblick über die wesentlichen Vereinfachungen
Der G-BA beschloss unter anderem diese organisatorisch-administrativen und strukturellen Erleichterungen:
- Die Vorgabe zur Mindestgröße des Netzverbundes wird reduziert: Für die Gründung eines Netzverbundes braucht es künftig nur noch sechs Fachärztinnen/-ärzte oder Psychotherapeutinnen/-therapeuten statt bisher zehn.
- Die Kooperation mit Krankenhäusern, die einen regionalen psychiatrischen Pflichtversorgungsauftrag haben, war bisher verbindlich. Diese Hürde war in manchen Regionen zu hoch, so dass einige Netzverbünde nicht gegründet wurden, weil kein Pflichtversorgungs-Krankenhaus für die Kooperation gefunden wurde. Daher wird diese Vorgabe gelockert: Nach wie vor sollte zwar die Zusammenarbeit primär mit Pflichtversorgern wegen der dort vorhandenen Erfahrung mit schwer psychisch Kranken angestrebt werden. Alternativ kann jetzt aber auch eine Kooperation mit einer nahe gelegenen, in der Betreuung von schwer psychisch Kranken erfahrenen Klinik ohne Pflichtversorgung eingegangen werden. Wenn trotz aller Bemühungen kein geeignetes Krankenhaus gefunden wird, kann im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen für einen befristeten Zeitraum von zwei Jahren sogar ein Netzverbund ohne kooperierendes Krankenhaus gegründet werden.
- Die vertraglichen Vorgaben werden vereinfacht: Ein Vertrag ist nicht mehr zwingend, es reicht eine schriftliche Erklärung der jeweils am Netzverbund Beteiligten.
- Die Vorgabe des vollen Versorgungsauftrags als Voraussetzung für die Übernahme der Funktion der Bezugsärztin oder des -arztes bzw. der Bezugspsychotherapeutin oder des -psychotherapeuten für die Patientinnen und Patienten im Netzverbund wird gestrichen.
- Erkrankte, die eine psychopharmakologische Behandlung mit häufigen Anpassungen benötigen oder einer kontinuierlichen Behandlung oder Überwachung durch geeignete Fachärztinnen oder -ärzte bedürfen, können nun auch eine Bezugspsychotherapeutin oder einen Bezugspsychotherapeuten haben – unter der Bedingung, dass eine geeignete Fachärztin oder ein geeigneter Facharzt regelmäßig in die Behandlung einbezogen ist.
- Die Abstimmung der Netzverbundmitglieder und Kooperationspartner soll durch die mittlerweile eingeführte elektronische Patientenakte und digitale Dienste wie den Sofortnachrichtendienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) und den TI-Messenger (TIM) erleichtert werden. Fallbesprechungen sollen flexibilisiert und dafür auch Video- und Telefonkonferenzen genutzt werden können.
- Wenn die Patientin oder der Patient es möchte, müssen ihre oder seine Behandelnden oder Helfenden aus anderen Bereichen des Suchthilfesystems zu regelmäßigen Fallbesprechungen eingeladen werden. Zusätzlich können die Netzverbundmitglieder an leistungsbereichsübergreifenden Hilfekonferenzen teilnehmen, so dass die Angebote für die Betroffenen besser koordiniert und die Unterstützungssysteme verzahnt werden können.
Der Beschluss wird nun ans Bundesministerium für Gesundheit übermittelt. Er tritt nach der Nichtbeanstandung durch das Ministerium und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.
Hintergrund der Richtlinie
Die Richtlinie über die berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit komplexem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf (KSVPsych-RL) hatte der G-BA im Jahr 2021 beschlossen. Eine zweite Richtlinie, speziell zur Versorgung von schwer psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen folgte drei Jahre später (KJ-KSVPsych-RL). Beide Richtlinien regeln die Anforderungen an die strukturierte und berufsgruppenübergreifende Versorgung und deren koordinierte gemeinsame Gesamtbehandlung. Sie zielen darauf ab, den spezifischen Behandlungsbedarfen dieser Patientengruppen besser gerecht zu werden und ihnen einen vereinfachten Zugang zu den erforderlichen Maßnahmen zu eröffnen. Außerdem sollen die Richtlinien helfen, den Übergang zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung zu erleichtern.