Pressemitteilung | Arzneimittel

Seit 10 Jahren als lernendes System etabliert: Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln

Berlin, 19. März 2021 – Seit 10 Jahren trägt die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln dazu bei, die Gesundheitsversorgung in Deutschland besser zu machen: Neue Arzneimittel werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf Basis möglichst aussagekräftiger Daten der pharmazeutischen Hersteller in der Regel im Vergleich zu vorhandenen Therapieoptionen bewertet. Für die wissenschaftliche Bewertung stützt sich der G-BA auf die Zuarbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), bei Arzneimitteln für seltene Leiden (Orphan Drugs) übernimmt das die Abteilung Fachberatung Medizin des G-BA. International hat sich Deutschland mit dieser systematischen Beurteilung Anerkennung erworben. Auch finanziell greift das Verfahren und spart der gesetzlichen Krankenversicherung pro Jahr rund 3,2 Mrd. Euro ein – Tendenz steigend. Auf einer virtuellen Fachtagung des G-BA tauschten sich heute über 400 Expertinnen und Experten über die frühe Nutzenbewertung aus und diskutierten über Lernimpulse für die Zukunft.

„Das AMNOG-Verfahren ist nur als lernendes System denkbar, das in Details immer wieder modifiziert und weiterentwickelt wird. Dies stellt alle Beteiligten vor große Aufgaben, ist aber unumgänglich, um die Funktionsfähigkeit aufrecht zu halten. Insbesondere hat sich in den letzten 10 Jahren gezeigt, dass die Qualität der eingereichten Dossiers kontinuierlich gestiegen ist. In kaum einem anderen Verfahren werden so viele klinische Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und so Transparenz geschaffen. Der AMNOG-Prozess hat dazu beigetragen, dass in Studien regelhaft Lebensqualitätsdaten erhoben und unterschiedliche Patientengruppen in den Anwendungsgebieten differenziert betrachtet werden“, so Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA.

„Derzeit gibt es für mich zwei Herausforderungen für das AMNOG-Verfahren, die gelöst werden müssen: Wie gehen wir mit Arzneimitteln um, die zunächst nur mit einer dünnen Datenbasis auf den Markt kommen? Zwischen 2012 und 2019 waren das im Schnitt immerhin 26 Prozent der neuen Arzneimittel. Für die Wissensgenerierung haben wir hier inzwischen das Instrument der anwendungsbegleitenden Datenerhebung, der Einsatz des Arzneimittels wird möglichst durch qualitätssichernde Vorgaben flankiert. Aber was bedeutet das für den Preis? Denn obwohl der Nutzen oft noch unklar ist, werden gerade hier hohe Preise aufgerufen. Ich denke, wir sollten nicht nur bei diesen Arzneimitteln, sondern grundsätzlich über die Länge der Preisfreiheit sprechen. Nach nur 6 Monaten ist durch die datenbasierte Entscheidung des G-BA klar, ob ein neues Arzneimittel einen zusätzlichen Effekt für die Versorgung bringt oder nicht. Trotzdem gilt der selbstgewählte Preis des Herstellers aktuell 12 Monate lang. Das passt nicht zusammen. Ich persönlich bin dafür, verhandelte Preise ab dem Zeitpunkt der G-BA-Entscheidung gelten zu lassen, also bereits nach 6 Monaten.“

Hecken ergänzt weiter: „Außerdem müssen wir die sogenannte Lücke bei den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, den NUB, im Krankenhaus schließen. Stellt der G-BA zum Beispiel bei Arzneimitteln für neuartige Therapien, sogenannten ATMP, Qualitätsanforderungen an ihre Anwendung in Kliniken, ist die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung wegen der komplexen Regelungen zur Vereinbarung von NUB-Entgelten in Kliniken derzeit unklar. Trotz einer zentralen Zulassung dieser Arzneimittel ist ihre Finanzierung und Erstattung im stationären Bereich, anders als im ambulanten Sektor, nicht regelhaft gewährleistet. Um eine zeitnahe unbürokratische Versorgung ohne Einzelfallanträge der in der Regel schwerkranken Patientinnen und Patienten zu ermöglichen, sollten die Rahmenbedingungen für die Erstattung von ATMP gesetzlich klargestellt werden.“

Hintergrund

Den Auftrag zur frühen Nutzenbewertung erhielt der G-BA über das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Seit 1. Januar 2011 verpflichtet es pharmazeutische Unternehmen, zur Markteinführung eines neu zugelassenen Wirkstoffs in Deutschland bzw. bei der Zulassung neuer Anwendungsgebiete ein Dossier zum (Zusatz-)Nutzen des Präparates vorzulegen. Unabhängig davon sind neue verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland grundsätzlich unmittelbar nach der Zulassung für alle Patientinnen und Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verfügbar. Der pharmazeutische Unternehmer kann den Preis für seine neuen Medikamente in den ersten 12 Monaten nach Markteintritt frei bestimmen.

Aufgabe des G-BA ist es, innerhalb von 6 Monaten nach Markteintritt eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen oder einem neuen Anwendungsgebiet zu bewerten, ob ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorhanden ist und in welchem Ausmaß. Der
G-BA-Beschluss zum Zusatznutzen bildet den Ausgangspunkt für die sich anschließenden sechsmonatigen Preisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer. Für Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen bis zu einer Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro aufgrund einer gesetzlichen Regelung als belegt. Der G-BA kann lediglich über das Ausmaß entscheiden. Erst wenn der GKV-Umsatz des Arzneimittels die 50 Millionen-Euro-Schwelle übersteigt, greift eine umfassende Prüfung des Zusatznutzens gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie.

Eine Übersicht zu den laufenden und abgeschlossenen Nutzenbewertungsverfahren finden Interessierte auf den Internetseiten des G-BA genauso wie allgemeine Informationen zum Verfahren inkl. Ablaufgrafik(PDF 41,32 kB)