Kryokonservierung

Bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen – vor allem von Krebs – können die Keimzellen und das Keimzellgewebe so geschädigt werden, dass die betroffenen Patientinnen oder Patienten später auf natürlichem Weg keine Kinder mehr zeugen können. Dies kann auch bei sehr jungen Menschen vorkommen, bei denen die Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist. Mit Hilfe der sogenannten Kryokonservierung von Keimzellen (Ei- und Samenzellen) oder Keimzellgewebe (Eierstock- und Hodengewebe) kann die Möglichkeit erhalten werden, trotz einer keimzellschädigenden Therapie noch Kinder bekommen zu können. Bei einer Kryokonservierung werden Keimzellen oder Keimzellgewebe entnommen und durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff aufbewahrt, wodurch deren Vitalität über sehr lange Zeit aufrechterhalten wird. Damit bleibt die Möglichkeit einer späteren Kinderwunschbehandlung erhalten.

Den Anspruch von gesetzlich Krankenversicherten auf eine Kryokonservierung bei denen eine potenziell keimzellschädigende Therapie erforderlich wird, führte der Gesetzgeber 2019 in das Sozialgesetzbuch ein. Die Richtlinie des G-BA regelt im Auftrag des Gesetzgebers seit 1. Juli 2021 die Details des Leistungsanspruchs sowie die Anforderungen an Ärztinnen und Ärzte und reproduktionsmedizinische Einrichtungen.

Was sind keimzellschädigende Behandlungen?

Bei der Behandlung z. B. einer Krebserkrankung kann es zu einer Schädigung der Keimdrüsen (Eierstock beziehungsweise Hoden) oder der Ei- und Samenzellen kommen und so die Fortpflanzungsfähigkeit der Patientin oder des Patienten beeinträchtigt werden. Zu den Behandlungen von Erkrankungen, die nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keimzellschädigend sein können, gehören insbesondere

  • die operative Entfernung der Keimdrüsen,
  • eine Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüsen oder
  • die Einnahme potentiell fruchtbarkeitsschädigender Arzneimittel.

Ob die medizinisch angezeigte Therapie im individuellen Fall mit einer Schädigung der Keimzellen einhergehen kann und damit ein Leistungsanspruch auf die Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Eierstockgewebe gegeben ist, wird von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt beurteilt.

Welche Leistungen sind derzeit umfasst?

Eine Kryokonservierung und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen können zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bei weiblichen Versicherten bis zum vollendeten 40. Lebensjahr und bei männlichen Versicherten bis zum vollendeten 50. Lebensjahr durchgeführt werden.

Vom derzeitigen Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung sind Vorbereitung, Entnahme, Aufbereitung, Transport, Einfrieren, Lagerung und späteres Auftauen von

  • Eizellen oder Eierstockgewebe
  • Samenzellen und Hodengewebe für die Testikuläre Spermatozoenextraktion (TESE)

umfasst. Die Kroykonservierung von Eierstockgewebe ist derzeit erst für Mädchen und Frauen ab der ersten Regelblutung möglich.

Ärztliche Beratung

Die Patientin oder der Patient werden vor einer möglicherweise keimzellschädigenden Therapie von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt umfassend beraten: Insbesondere zum Risiko einer Keimzellschädigung und zu möglichen fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen. Kommt eine Kryokonservierung grundsätzlich in Frage, wird die Patientin oder der Patient ausführlich zu den verschiedenen Optionen in ihrem konkreten Fall, zu Risiken, Erfolgsaussichten und Kontraindikationen durch besonders qualifizierte Fachärztinnen und Fachärzte aufgeklärt und beraten. Das umfasst auch die mit der Kryokonservierung verbundenen medizinischen Maßnahmen, wie z. B. eine hormonelle Stimulationsbehandlung vor der Eizellentnahme.

Die medizinischen Maßnahmen, die später mit Hilfe der konservierten Ei- oder Samenzellen für eine Schwangerschaft genutzt werden können, sind in einer gesonderten Richtlinie über künstliche Befruchtung des G-BA geregelt: Künstliche Befruchtung.

Kostenübernahme im Einzelfall vor dem Stichtag 1. Juli 2021

Für Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer erforderlichen potenziell keimzellschädigenden Behandlung bereits vor dem Stichtag 1. Juli 2021 mit einer Kryokonservierung im Sinne dieser Richtlinie begonnen haben, gilt Folgendes: Seit diesem Stichtag besteht im konkreten Einzelfall Anspruch auf Kryokonservierung und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen für jene Teilleistungen, die nach diesem Zeitpunkt anfallen (z.B. für weitere Lagerungskosten, wenn die Kryokonservierung schon erfolgt ist). Die entsprechenden Leistungen gewähren die Krankenkassen auf Antrag der Versicherten. Der Leistungsanspruch gilt nicht rückwirkend.

Datenlage zur Kryokonservierung von Keimzellgewebe wird spätestens 2024 überprüft

Der G-BA hat auch darüber beraten, inwieweit eine Kryokonservierung von Hodengewebe als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt werden kann. Im Ergebnis sieht der G-BA hierfür – mit Ausnahme der Testikulären Spermatozoenextration (TESE) – noch keine Möglichkeit, weil kryokonserviertes Hodengewebe derzeit nur in Einzelfällen als experimenteller Versuch rückübertragen werden kann.

Ebenfalls noch keine Leistung ist die Kryokonservierung von Keimzellgewebe bei ganz jungen Mädchen, bei denen die Regelblutung noch nicht eingesetzt hat. Hier ist derzeit wegen der als experimentell einzustufenden Studienlage noch unklar, ob sich das zugehörige medizinisch-wissenschaftliche Konzept zur Kryokonservierung von Eierstockgewebe, dass bei erwachsenen Frauen nachweislich eine spätere Schwangerschaft ermöglichen kann, auf diese Gruppe übertragen lässt und welche besonderen Anforderungen an die Leistungserbringer, die solche jungen Menschen behandeln, zu stellen wären.

Da sich die wissenschaftliche Datenlage zur Kinderwunschbehandlung und damit auch zur Kryokonservierung von Keimzellen und Keimzellgewebe sehr schnell weiterentwickelt, wird der G-BA diese spätestens 2024 – zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Beschlusses vom 18. August 2022 – überprüfen.