Innovationsausschuss bewertet Projekte der Versorgungsforschung: Ergebnisse werden zur Prüfung und Information gezielt weitergeleitet
Berlin, 20. Juni 2025 – Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss hat heute zu vier geförderten Projekten aus dem Bereich der Versorgungsforschung Beschlüsse gefasst. Die thematische Bandbreite ist sehr groß: Während sich das Projekt „MS-PoV“ mit der Versorgungssituation von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose in Niedersachsen beschäftigte, evaluierte das Projekt „EPPIK“ ein Modell zur Personalbemessung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken. Das Projekt „SePaMiM“ untersuchte computergestützte Verfahren zur Auswertung von Daten aus Krebsregistern. Das vierte Projekt „PTmHBP“ testete die Praktikabilität einer Phagentherapie von Infektionen in Deutschland. Die Ergebnisse des Projekts „MS-PoV“ leitet der Innovationsausschuss gezielt mit der Bitte weiter, zu prüfen, inwieweit diese genutzt werden können. Bei den anderen drei Projekten gibt der Innovationsausschuss die Ergebnisse lediglich zur Information an verschiedene Akteure der Gesundheitsversorgung weiter.
MS-PoV: Multiple Sklerose – Patientenorientierte Versorgung in Niedersachsen
Mit mehr als 240.000 Erkrankten ist die Multiple Sklerose (MS) in Deutschland die häufigste chronische, immunvermittelte entzündliche Erkrankung. Patientinnen und Patienten leiden unter schweren körperlichen, kognitiven und emotionalen Beeinträchtigungen, welche häufig zu vorzeitigem Betreuungsbedarf führen. Das Projekt hat mit verschiedenen methodischen Ansätzen die reale Versorgungssituation von Menschen mit MS in Niedersachsen betrachtet und schloss auf eine „grundsätzlich ausreichende Versorgung“. Anhand der erhobenen Daten zeigte sich beispielsweise, dass es entgegen der initialen Erwartung keine mangelnde Versorgung im ländlichen Raum gibt. Dennoch wurden Anhaltspunkte für Versorgungslücken und Verbesserungspotenziale identifiziert. Auf Basis der Projektergebnisse und der ermittelten Problemlagen wurden ein Versorgungsmodell entwickelt sowie Handreichungen für die Gesamt- und Hilfsmittelversorgung formuliert.
Die Ergebnisse des Projekts werden an die Bundes- und Landesverbände der Kranken- und Pflegekassen weitergeleitet. Sie sind gebeten, zu prüfen, inwiefern Informationsangebote für Menschen mit MS angepasst und weiterentwickelt werden können. An die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. richtet sich die Prüfbitte, inwiefern die gewonnen Erkenntnisse bei der Weiterentwicklung der Living Guideline einfließen können.
Details im Beschluss und Ergebnisbericht
EPPIK: Überprüfung der Eignung des „Plattformmodells“ als Instrument zur Personalbemessung in psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken
Das Projekt war der Frage nachgegangen, ob das sogenannte Plattformmodell für die bedarfs- und leitlinienorientierte Personalausstattung in der Psychiatrie sowie psychosomatischen Medizin und Psychotherapie geeignet sei. Ergebnis des Projekts: Nur in Teilen schafft es dieses Strukturmodell für einen Personaleinsatz, den Behandlungsaufwand abzuschätzen und dabei Bedarfs- und Behandlungscluster sowie eine leitlinienorientierte Behandlung zu berücksichtigen. Während mit der EPPIK-Studie nun erstmals eine empirische Datenbasis zur Personalbemessung für den Bereich der Psychosomatik vorliegt, sind die Aussagen für andere Bereiche aufgrund von Verzerrungen nur eingeschränkt belastbar. Vor allem die „Ableitung der Zeitbedarfe für die Behandlung ist als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses und ‚freier Diskussion‘ der beteiligten Expertinnen und Experten zu charakterisieren“, heißt es im Beschluss. Auch wenn der Innovationausschuss keine Umsetzungsempfehlung aussprechen konnte, wertet er die Erkenntnisse als „Impulse zur Diskussion“. Er leitet daher relevante Teilergebnisse zur Information an den Unterausschuss Qualitätssicherung des Gemeinsamen Bundesausschuss weiter sowie an verschiedene Berufsverbände aus dem Bereich der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.
Details im Beschluss und Ergebnisbericht
SePaMiM: Sequential Pattern Mining und Pattern Matching von Krankheits- und Behandlungsverläufen für klinische Krebsregister
Im Projekt entwickelt wurden zwei computergestützte Prototypen von Verfahren, mit deren Hilfe aufbereitete Datensätze in Krebsregistern ausgewertet und analysiert wurden. Mit dem sogenannten Pattern Matching-Ansatz konnten Patientenkohorten anhand von Behandlungsverläufen aus den Daten geclustert werden. So wurde gezeigt, dass softwareunterstützt klinisch relevante Fragestellungen aus den Daten der Krebsregister beantwortet und Routineaufgaben von Registern repliziert werden können. Dabei ging es z. B. um Analysen zu Qualitätsindikatoren für Leitlinien oder die Plausibilitätsprüfung von Behandlungsverläufen. Mit dem anderen Verfahren, dem sogenannten Data Mining, konnten die Daten der Krebsregister explorativ ausgewertet werden. Dadurch ergaben sich – wenn auch noch nicht abschließend inhaltlich geprüfte – Zusammenhänge von Überlebenswahrscheinlichkeit und Therapieverlauf.
Als Fazit heißt es im Beschluss: „Für einen bundesweiten Einsatz der beiden Anwendungen braucht es entweder eine Standardisierung innerhalb der Krebsregister oder jeweils angepasste Datenaufbereitungen.“ Auch müssten die beiden Prototypen nutzerfreundlich weiterentwickelt werden. Die im Projekt erzielten Ergebnisse zu den zwei computergestützten Verfahren werden daher informatorisch an die relevanten Institutionen im Bereich Krebsregister und Krebsforschung weitergeleitet.
Details im Beschluss und Ergebnisbericht
PTmHBP: Praktikabilitätstestung der magistralen Herstellung von Bakteriophagen zur Therapie septischer Infektionen (PhagoFlow)
Bakteriophagen sind Viren, die ausschließlich Bakterien befallen und zerstören. Angesichts der wachsenden Unempfindlichkeit von Erregern gegenüber einer Antibiotikatherapie hat das Projekt geprüft, ob es die heutigen biopharmazeutischen und rechtlichen Möglichkeiten in Deutschland erlauben, patientenindividuelle Phagen in gereinigter Form zu erzeugen und für die Behandlung infizierter Wunden einzusetzen. Ergebnis: Die Möglichkeit besteht nach enormem Aufwand unter Projektbedingungen, sie wäre jedoch nicht einfach im klinischen Routinebetrieb übertragbar. Insgesamt gelang es nur teilweise, die ursprünglich gesetzten Projektziele zu erreichen. Als Handicap erwiesen sich hohe regulatorische Anforderungen, fehlende personelle Ressourcen, eine aufwendige bundesweite Patientenlogistik und die Integration in die klinischen Alltagsabläufe. Die im Projekt erzielten Erfahrungen zur Herstellung und klinischen Anwendung von patientenindividuellen Phagenzubereitungen werden dennoch als Information an Berufs- und Fachgesellschaften sowie die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände e. V. weitergeleitet.
Details im Beschluss und Ergebnisbericht
Weiterführende Informationen
Sämtliche Beschlüsse des Innovationsausschusses zu den bislang abgeschlossenen Projekten sind auf seiner Website veröffentlicht: Beschlüsse