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Unpar­tei­ische Mitglieder des Gemein­samen Bundes­aus­schusses lehnen wesent­liche Elemente des Refe­ren­ten­ent­wurfs des GKV-​Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes ab

Berlin, 20. Oktober 2016 – Anläss­lich der am Mitt­woch statt­ge­fun­denen Verbän­de­an­hö­rung zum Refe­ren­ten­ent­wurf für das GKV-​Selbstverwaltungsstärkungsgesetz erklärte der unpar­tei­ische Vorsit­zende des Gemein­samen Bundes­aus­schusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, am Donnerstag in Berlin:

„Inner­halb des Rahmens, der durch den Gesetz­geber vorge­geben wird, wird der Sozi­al­staat durch nicht­staat­liche Insti­tu­tionen und durch deren Über­nahme von Verant­wor­tung geprägt. Dieses Prinzip hat sich bewährt! Sozi­al­part­ner­schaft und Selbst­ver­wal­tung sind die tragenden Säulen dieser Subsi­dia­rität, die darauf fußt, dass immer dann, wenn die Betei­ligten Gemein­wohl­in­ter­essen ausge­stalten und ihre Inter­essen selbst ausba­lan­cieren, es im Grund­satz entbehr­lich und viel­fach sogar schäd­lich ist, wenn der Staat selbst tätig wird. Subsi­diäre aber eigen­ver­ant­wort­liche Aufga­ben­wahr­neh­mung durch eng mit den jewei­ligen Lebens­sach­ver­halten verbun­dene Betei­ligte sichert praxis­nahe, problem­ori­en­tierte Lösungen, die regel­haft auch wegen des eigen­ver­ant­wort­li­chen Inter­es­sen­aus­gleichs in den Entschei­dungs­pro­zessen eine höhere gesell­schaft­liche Akzep­tanz finden als diri­gis­ti­sche staat­liche Vorgaben.

Deshalb verla­gert das gestufte System einer Selbst­ver­wal­tung der Körper­schaften und einer gemein­samen Selbst­ver­wal­tung zwar Entschei­dungs­kom­pe­tenzen in einen der Staats­ver­wal­tung vorge­la­gerten Bereich eigen­ver­ant­wort­li­cher und nur der Rechts­kon­trolle unter­lie­gender Aufga­ben­wahr­neh­mung, zwingt aber gleich­zeitig die dort Verant­wor­tung Tragenden zur Lösungs­fin­dung, die nicht nur an den Parti­ku­lar­in­ter­essen ausge­richtet ist, sondern den sozi­al­staat­li­chen Gesamt­auf­trag im Focus hat.

Dies wird schon deut­lich in der Geset­zes­be­grün­dung von 1952 zum Kassen­arzt­recht, in der es heißt:

‚Die bishe­rigen Erfah­rungen haben gezeigt, dass die ärzt­liche Versor­gung umso besser und wirkungs­voller ist, je mehr die eigene Verant­wor­tung aller Betei­ligten, der Versi­cherten, der Kran­ken­kassen und ihrer Verbände, der Ärzte und ihrer Verei­ni­gungen geweckt wird. Staat­liche Rege­lungen und staat­li­cher Zwang können gerade auf diesem Gebiet niemals so frucht­bare Ergeb­nisse zeitigen wie die Selbst­ver­ant­wor­tung der Betei­ligten.‘

Das gilt bis heute im Grund­satz, auch wenn es Probleme bei Einzelnen gegeben hat. Das Bestreben zur Lösung von Einzel­pro­blemen darf nicht dazu führen, dass Selbst­ver­wal­tung und gemein­same Selbst­ver­wal­tung insge­samt zur Dispo­si­tion gestellt werden.

Dies geschieht aber durch den Refe­ren­ten­ent­wurf, der insge­samt Grenzen verschiebt und den Rubikon von der Rechts- zur Fach­auf­sicht über­schreitet, ohne dies direkt beim Namen zu nennen.

Indi­rekt wird das aber in der Begrün­dung deut­lich, in der ausdrück­lich ausge­führt wird, dass der von der Recht­spre­chung entwi­ckelte Grund­satz der maßvollen Ausübung der Rechts­auf­sicht und der damit einher­ge­henden Beur­tei­lungs­spiel­räume einer Korrektur bedürfe.

Deut­lich wird das auch darin, dass § 91 Abs. 8 SGB V, der nach geltender Rechts­lage aussagt, dass der G-BA der Rechts­auf­sicht des Bundes­mi­nis­te­riums für Gesund­heit (BMG) unter­liegt, im Entwurf komplett gestri­chen werden soll und in den Neure­ge­lungen nur noch von Aufsicht die Rede ist.

Dass dies kein Zufall ist, sondern hiermit Fach­auf­sicht gemeint ist, ergibt sich insbe­son­dere aus zwei Beispielen, die ich hier nur kurz benennen will, weil sie nachher ja im Einzelnen disku­tiert werden:

  1. Wenn geneh­migte Satzungen der Körper­schaften oder Richt­li­nien des G-BA wegen „nach­träg­lich einge­tre­tener Umstände“ aufge­hoben werden können, so ist dies keine Rechts­auf­sicht mehr, sondern die Möglich­keit, jeder­zeit bei verän­derten poli­ti­schen Einschät­zungen elemen­tare Grund­satz­normen zu verän­dern. Damit wird nicht nur in den Kern­be­reich der Selbst­ver­wal­tung einge­griffen, sondern auch eine in ihren Wirkungen kaum vorher­seh­bare Rechts­un­si­cher­heit für die Adres­saten dieser Normen vorpro­gram­miert.
  2. Wenn vorge­sehen wird, dass die Aufsicht verbind­liche Inhalts­be­stim­mungen bei unbe­stimmten Rechts­be­griffen ohne effek­tive Rechts­schutz­mög­lich­keit der betrof­fenen Körper­schaften vornehmen kann, die noch nicht einmal mehr auf die Vertret­bar­keits­kon­trolle beschränkt sind, so ist dies nichts anderes als eine geson­derte Ausprä­gung des klas­si­schen Weisungs­rechts gegen­über nach­ge­ord­neten Behörden.

Aus alledem ergibt sich, dass wir den Refe­ren­ten­ent­wurf insge­samt mit Blick auf das ange­strebte Rege­lungs­ziel für viel zu weit­ge­hend und für insge­samt unver­hält­nis­mäßig halten, weil er ohne Not funk­tio­nie­rende und tragende Prin­zi­pien der Selbst­ver­wal­tung aushöhlt und zerstört.

In diesem Zusam­men­hang möchte ich auf eine Bewer­tung von Prof. Axer hinweisen, der in einem Vortrag ausge­führt hat, dass wenn nach der Geset­zes­be­grün­dung der Grund­satz der maßvollen Ausübung der Rechts­auf­sicht korri­giert werden solle, die Frage gestattet sein müsse, ob damit eine maßlose Aufsicht einge­führt werden solle. Axer hat wört­lich gesagt: ‚Es ist klar, es gibt keine verfas­sungs­recht­liche Veran­ke­rung der Selbst­ver­wal­tung. Das ist aber kein Frei­brief dafür, dass man eine maßlose Aufsicht einführen möchte!‘ Wer weiß, dass Prof. Axer kein Pole­miker ist und gemeinhin sehr zurück­hal­tend formu­liert, dem sollte diese Aussage zu denken geben.“