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G-BA sieht „beträcht­li­chen Zusatz­nutzen“ bei zwei Wirk­stoffen – HTA-​Analyse der EU kommt

Berlin, 15. Juli 2021 – Zwei Wirk­stoffen hat der Gemein­same Bundes­aus­schuss (G-BA) heute einen „beträcht­li­chen Zusatz­nutzen“ attes­tiert. Er vergibt damit die zweit­beste Kate­gorie bezogen auf das Ausmaß des Zusatz­nut­zens, die ihm zur Verfü­gung steht. Einen Anhalts­punkt für einen Zusatz­nutzen sah der G-BA auch bei zwei Wirk­stoffen gegen bestimmte Krebs­formen. Nach der jüngsten Verstän­di­gung über eine EU-​Verordnung zum Health Tech­no­logy Assess­ment (HTA) werden Krebs­me­di­ka­mente wohl die ersten Arznei­mittel sein, bei denen der G-BA künftig eine gemein­same klini­sche Bewer­tung einbe­zieht.

Pati­en­tinnen und Pati­enten profi­tieren von neuen Thera­pien

Bei den beiden mit einem beträcht­li­chen Zusatz­nutzen bewer­teten Wirk­stoffen handelt es sich um Fenflu­ramin und Upad­a­ci­tinib. Mit Upad­a­ci­tinib wird eine chro­ni­sche Gelenk­ent­zün­dung behan­delt, die im Zusam­men­hang mit einer Schup­pen­flechte (Psoriasis-​Arthritis) auftritt. Der Wirk­stoff zeigte gegen­über den bislang vorhan­denen Behand­lungs­mög­lich­keiten Vorteile bei der Symptom­ver­bes­se­rung und in der Lebens­qua­lität ohne rele­vante Nach­teile bei den Neben­wir­kungen.

Fenflu­ramin wird gegen eine schwere Form der Epilepsie (Dravet-​Syndrom) bei Klein­kin­dern einge­setzt. Diese auf einer Genver­än­de­rung beru­hende Krank­heit ist schwer behan­delbar. Bereits im April 2021 hatte der G-BA für Canna­b­i­diol einen beträcht­li­chen Zusatz­nutzen vergeben. Somit sind in Deutsch­land nun zwei Wirk­stoffe für diese seltene Erkran­kung vom G-BA bewertet worden. Ausschlag­ge­bend war in beiden Fällen die mit Daten belegte deut­liche Krank­heits­ver­bes­se­rung bei Pati­en­tinnen und Pati­enten, für die bislang kaum Thera­pie­op­tionen verfügbar waren.

Anhalts­punkt für Zusatz­nutzen bei zwei Krebs­the­ra­pien

Aufgrund von Daten aus kleinen Studien konnte der G-BA zwei Wirk­stoffen gegen Krebs einen Anhalts­punkt für einen Zusatz­nutzen beschei­nigen: Blina­tu­momab wird gegen eine spezi­elle Form der akuten lympha­ti­schen Leuk­ämie einge­setzt. Es ist für Pati­en­tinnen und Pati­enten zuge­lassen, bei denen frühere Thera­pien gegen das Wachsen der Krebs­zellen mit soge­nannten Tyrosinkinase-​Inhibitoren nicht erfolg­reich waren und die keine andere Behand­lungs­al­ter­na­tive haben.

Bei Pertu­zumab/Tras­tu­zumab handelt es sich um eine Wirk­stoff­kom­bi­na­tion gegen frühen Brust­krebs mit einem hohen Rück­fall­ri­siko, die in Kombi­na­tion mit Chemo­the­rapie als unter­stüt­zende Therapie einge­setzt wird. Pertu­zumab/Tras­tu­zumab ist seit Februar 2021 erst­mals als Fixkom­bi­na­tion verfügbar, die subkutan inji­ziert wird.

„Künftig wird der G-BA bei der Bewer­tung von Arznei­mit­teln gegen seltene Krebs­leiden wie z. B. spezi­elle Formen der akuten lympha­ti­schen Leuk­ämie wohl stärker Infor­ma­tionen von der euro­päi­schen Ebene in die Nutzen­be­wer­tung mit einbe­ziehen. Ich spreche hier die Entwick­lungen beim soge­nannten Health Tech­no­logy Assess­ment, kurz HTA, an. Onko­lo­gika sowie onko­lo­gi­sche Orphan Drugs werden wohl die ersten Arznei­mittel sein, bei denen die EU eine gemein­same klini­sche Bewer­tung vornehmen will. Die Grund­züge der jetzt bekannt­ge­wor­denen HTA-​Verordnung stellen einen Kompro­miss dar: auf der einen Seite die Darstel­lung der klini­schen Evidenz als gemein­same euro­päi­sche wissen­schaft­liche Analyse der Daten und auf der anderen Seite die Entschei­dungs­frei­heit der Mitglieds­staaten in der Einschät­zung dieser Daten. Denn sie können bei den natio­nalen Verfahren zur Bestim­mung des Zusatz­nut­zens sowie der Preis­fin­dung weiterhin selbst­ständig agieren. Dieses Gleich­ge­wicht der Inter­essen muss sich auch in den noch zu regelnden Details wie z. B. der Zusam­men­set­zung der soge­nannten Koor­di­nie­rungs­gruppe wieder­finden, die die klini­sche Einschät­zung von neuen Arznei­mit­teln vornimmt. Wie bei der Nutzen­be­wer­tung sollten Qualität und Trans­pa­renz die beiden Maximen des Handelns sein“, so Prof. Josef Hecken, unpar­tei­ischer Vorsit­zender des G-BA und Vorsit­zender des Unter­aus­schusses Arznei­mittel. „Der G-BA wäre fach­lich und aufgrund seiner jahre­langen Erfah­rung im Umgang mit HTA-​Berichten für die Bewer­tung des Zusatz­nut­zens geeignet, Deutsch­land in dieser Koor­di­nie­rungs­gruppe zu vertreten.“

Hinter­grund HTA-​Verordnung

Frei­willig tauschten sich natio­nale Insti­tu­tionen der EU-​Mitgliedsstaaten schon viele Jahren über Methoden, Verfahren und Prozesse der Nutzen­be­wer­tung neuer Gesund­heits­tech­no­lo­gien (HTA) aus. Seit 2018 wurde über eine verbind­liche HTA-​Kooperation verhan­delt. Strittig war lange, wie verbind­lich die Bewer­tungen sein sollen und welche Aufgaben auf euro­päi­scher Ebene liegen. Mit einem Kompro­miss ist Ende Juni 2021 die Verord­nung über die klini­sche Bewer­tung von Arznei­mit­teln und bestimmten Medi­zin­pro­dukten im zustän­digen EU-​Ausschuss ange­nommen worden. Danach bleiben die Entschei­dung über den Zusatz­nutzen und die Preis­bil­dung natio­nale Aufgaben der Mitglieder.

Bezogen auf Deutsch­land heißt das, der G-BA wird weiterhin neue Arznei­mittel hinsicht­lich eines Zusatz­nut­zens bewerten, auch wenn sich der zeit­liche Verfah­rens­ab­lauf mögli­cher­weise ändern wird. Die Entschei­dung des G-BA zum Zusatz­nutzen stellt nach wie vor den Ausgangs­punkt für die Preis­ver­hand­lungen zwischen dem GKV-​Spitzenverband und den einzelnen phar­ma­zeu­ti­schen Unter­nehmen dar. Die klini­sche Auswer­tung der Daten zu neuen Arznei­mit­teln erfolgt auf euro­päi­scher Ebene, sie soll in den Mitglieds­staaten berück­sich­tigt werden, sofern diese Daten für die natio­nale Frage­stel­lung geeignet sind und den Quali­täts­an­sprü­chen genügen.

Wesent­liche Entschei­dungen wie beispiels­weise die Entschei­dung über den Nutzen­be­wer­tungs­be­richt sollen laut Verord­nung in einer gemein­samen Koor­di­nie­rungs­gruppe erfolgen, in die die EU-​Mitgliedsstaaten Vertre­te­rinnen und Vertreter entsenden. Wer das für Deutsch­land sein wird, ist noch offen.

Geplant ist ein schritt­weises Vorgehen bei den Nutzen­be­wer­tungen: Zunächst sollen Krebs­me­di­ka­mente inkl. Krebs­me­di­ka­mente gegen seltene Leiden und neuar­tige Thera­pien bewertet werden. Nach drei Jahren kommen Arznei­mittel gegen seltene Krank­heiten insge­samt hinzu, weitere zwei Jahren später alle anderen Medi­ka­mente sowie Medi­zin­pro­dukte.


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