Pressemitteilung | Arzneimittel

Verfahren zur Nutzenbewertung von Glybera® (Wirkstoff: Alipogentiparvovec) wegen einer erneuten Befassung der EMA mit dem Wirkstoff vorläufig ausgesetzt

Berlin, 16. April 2015 – Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am Donnerstag die Beschlussfassung für das Nutzenbewertungsverfahren für Glybera®, einem Orphan Drug zur Behandlung der Stoffwechselerkrankung Lipoproteinlipasedefizienz (LPLD), vorläufig ausgesetzt. Damit verbunden ist − erstmalig seit Beginn der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln − eine Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Bewertungsfrist.

Bei Orphan Drugs gilt aufgrund einer gesetzlichen Regelung der Zusatznutzen bis zum Erreichen einer Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro durch die Zulassung als belegt. Der G-BA entscheidet im Rahmen der Nutzenbewertung hierbei lediglich über das Ausmaß des gesetzlich bereits angenommenen Zusatznutzens. Für Glybera® hätte in der heutigen Plenumsentscheidung der entsprechende Nutzenbewertungsbeschluss gefasst werden müssen.

Hintergrund der ungewöhnlichen Aussetzungsentscheidung ist der dem G-BA erst am 14. April 2015 bekannt gewordene Umstand, wonach der zuständige Rapporteur der europäischen Zulassungsbehörde EMA in einem Bericht vom 8. April 2015 mitgeteilt hat, dass er nach Auswertung der Follow-Up-Daten 2014 ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Wirkstoff sieht. Das zuständige Beschlussgremium der EMA (CHMP) befasst sich in seiner Sitzung vom 21. – 23. April 2015 mit möglichen Folgerungen aus dem Rapporteursbericht.

Hierzu erklärt der Vorsitzende des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses Arzneimittel, Prof. Josef Hecken: „Auch wenn wir mit der Aussetzung des Verfahrens die gesetzliche Verfahrensfrist verletzen, ist die Entscheidung aus meiner Sicht richtig und alternativlos. Der Schutz der Sicherheit von schwerkranken Patientinnen und Patienten hat absoluten Vorrang. Ausgehend von den Mitteilungen über den Rapporteursbericht müssen dessen Feststellungen gravierend sein. Auch wenn dieser Bericht nur das Bewertungsergebnis des Rapporteurs darstellt, wäre es unverantwortlich, dem Wirkstoff aufgrund der Privilegierung für Orphan Drugs vor der anstehenden Empfehlung des CHMP einen Zusatznutzen auszusprechen und damit ein möglicherweise falsches Signal an Patienten und Verordner zu senden, die sich an den Beschlüssen des G-BA orientieren. Die Sicherheit der Patienten ist wichtiger als die Einhaltung einer formalen gesetzlichen Verfahrensfrist, wenn ein solch gravierender atypischer Sonderfall vorliegt. Dass der G-BA ansonsten die Fristen peinlichst genau beachtet, ist in den ca. 120 bislang durchgeführten Verfahren bewiesen worden.“

Befremdet zeigte sich Professor Hecken über den Umstand, dass der G-BA über die für die Nutzenbewertung wichtigen Umstände erst einige Tage nach der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC unterrichtet wurde. Bereits in der 15. Kalenderwoche hatte der amerikanische Zulassungsinhaber in einer ad-hoc-Meldung die Börsenaufsicht mit Blick auf mögliche Geschäftsrisiken unterrichtet, erst am 14. April erfolgte eine Meldung durch den pharmazeutischen Unternehmer an den G-BA: „Ich hätte erwartet, dass angesichts des Wissens um das beim G-BA laufende Bewertungsverfahren zumindest eine zeitgleiche Unterrichtung von Börsenaufsicht und G-BA erfolgt, denn der Patientenschutz ist für mich in solchen Fällen wichtiger als mögliche geschäftspolitische Imponderabilien“.

Glybera® ist zugelassen als ein Orphan Drug zur Behandlung von Erwachsenen, bei denen eine familiäre Lipoproteinlipasedefizienz (LPLD) diagnostiziert wurde und bei denen schwere oder multiple Pankreatitis-Schübe trotz fettarmer Ernährung aufgetreten sind. Die Diagnose LPLD muss durch einen Gentest abgesichert sein. Die Anwendung ist beschränkt auf Patienten mit nachweisbaren Mengen an LPL-Protein. Glybera® sollte ausschließlich bei Patienten mit einer LPL-Proteinmasse, die mindestens 5 % des Normalwertes entspricht, angewendet werden.

Hintergrund – Frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln

Seit dem 1. Januar 2011 hat der G-BA die gesetzliche Aufgabe, für alle neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sofort nach Markteintritt eine (Zusatz-)Nutzenbewertung durchzuführen (§ 35a SGB V). Deren Ergebnis ist die Entscheidungsgrundlage für die sich anschließenden Preisverhandlungen, die der GKV-Spitzenverband mit dem pharmazeutischen Hersteller führt.

Den Auftrag zur frühen Nutzenbewertung erhielt der G-BA über das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG). Das mit Wirkung zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz verpflichtet pharmazeutische Unternehmen erstmals, bereits zur Markteinführung eines neuen Produktes in Deutschland beziehungsweise bei der Zulassung neuer Anwendungsgebiete ein Dossier zum Nutzen des Präparates vorzulegen.


Beschluss zu dieser Pressemitteilung

Arzneimittel-Richtlinie/Anlage XII: Alipogentiparvovec - vorläufige Aussetzung